Kunsttherapie bei Kindern mit Bindungsstörungen in der Heimerziehung

  1. Themenfindung und Problemlage

Bindung ist ein zentraler Punkt für jedes lebendige Wesen. Nur durch die erste Bindung zwischen Babys und Müttern kann die Evolution sich in der heutigen Entwicklung so zeigen, wie sie in ihrer abwechslungsreichen und schon sehr fantasievollen Form auf dieser Welt zu finden ist. Gerade für uns Menschen spielt die Bindung eine enorme und unser weiteres Leben bestimmende Rolle, da wir das größte Gefühlsspektrum vorweisen können. Da wir sehr emotionale Lebewesen sind, beruht unser gesamtes Verhalten und unsere Entwicklung auf dem Bindungsverhalten, welches wir schon vom ersten Tag an auf der Erde erleben und erlernen. Wir erfahren es und durch diese Erfahrungen bilden wir unser „Selbst“ aus. Wenn diese Erfahrungen so sind, dass unsere Psyche Schaden daran nimmt, so geben wir dieses „fehlerhafte“ Bindungsverhalten an unsere Umwelt weiter. Nicht nur in unseren Beziehungen und Freundschaften, sondern in jeder unserer Begegnungen findet es seinen Ausdruck, und nicht zuletzt finden wir es im eigenen Erziehungsverhalten gegenüber den eigenen Kindern wieder und geben es unmerklich weiter.

So werden die eigenen Kinder nicht nur im ähnlichen Erziehungsstil erzogen, wie man es selbst in seiner Kindheit erfahren hat, sondern viel erheblicher wirkt hier das Unbewusste. Gestörtes Bindungsverhalten kann im Negativbereich zu gestörten oder sogar schädlichen und ver- und zerstörenden Interaktionen führen. In diesen Fällen können therapeutische Maßnahmen hilfreich sein und die Persönlichkeit stärken, indem zum Beispiel zwischenmenschliche Interaktionen beleuchtet werden. Einige dieser therapeutischen Möglichkeiten werde ich an gegebener Stelle erläutern.

Durch mein Praktikum und durch eigene Erfahrungen mit Heimkindern konnte ich mich intensiv mit diesen Problemen auseinandersetzen. Fast jedes Heimkind hat vermutlich eine Bindungsstörung. Einmal auf Grund des schädigenden Umfelds, aus dem sie herausgenommen wurden. Aber auch, gerade weil sie das vertraute, wenn auch desaströse Umfeld, verlassen mussten. Daher ist es in meinen Augen sehr wichtig, mit diesen Kindern an ihrer Bindungsstörung und den damit verbundenen traumatischen Erlebnissen zu arbeiten - zumal eine gute Verarbeitung und Neuorientierung im Kindesalter noch wahrscheinlicher ist als im Erwachsenenalter: Kinder suchen in ihrer Entwicklung stets nach Halt. Das Herausbilden einer gesunden Persönlichkeit, mit der Notwendigkeit ein eigenes Wertesystem aufzubauen, gelingt meines Erachtens nur in einem Vertrauen bildenden, sicheren Rahmen, in dem Kinder sich erproben und erfahren können, ohne verunsichert, ignoriert und im schlimmsten Fall abgestraft zu werden. Sie sind noch nach sich selbst auf der Suche und dadurch sehr reizoffen; sie wollen den Eltern gefallen, und so beginnen Verdrängungsprozesse, unter denen sie ggf. ein Leben lang leiden. Ich hoffe, durch diese Arbeit einen Beitrag zu leisten, der vielleicht in der Heimerziehung selbst zu einem Umdenkprozess anregt. Diese Arbeit wird ein kleines Plädoyer für kunsttherapeutische Interventionen und ihren Möglichkeiten.

Außerdem möchte ich mein Anliegen und meine Hoffnung vermitteln, warum unsere Gesellschaft mehr Wert auf gefestigte Bindungen legen sollte: Bindung ist für das soziale und moralische Verhalten einer funktionierenden Gesellschaft unabdingbar. Ihre Dysfunktion kann sich wie eine physische Krankheit ausbreiten, „ansteckend“ und „schwer heilbar“ sein.

Wenn wir die Vergangenheit eines bindungsgestörten Kindes versuchen nachzuempfinden, so spüren wir den seelischen Schmerz dieser Kinder. Zu wissen, dass ein Kind statt Liebe Leid erfahren muss, stellt den Sinn der Evolutionsgeschichte und die Moral der Menschlichkeit in Frage. Ich unterscheide diese beiden Punkte, da es für mich mehr gibt, als medizinisch und physikalisch erklärbare aufeinanderfolgende Reaktionen. Ich bin davon überzeugt, dass genau diese Unterscheidung uns zu beseelten Menschen macht: zu bindungs- und empathiefähigen Menschen.



  1. Offene Forschungsfragen

Mein Fokus in dieser Arbeit liegt auf dem Spezifischen in der kunsttherapeutischen Arbeit mit bindungsgestörten Kindern. Deshalb stelle ich hier die Komplexität der Bindungsstörung sowie Verbesserungen des bindungsgestörten Verhaltens bei einem Mädchen aus der Heimerziehung stellvertretend dar. Auch das Fallbeispiel eines Jungen namens James ist phänomenologisch betrachtet und in Bezug zu Methoden und Herangehensweisen in der intermedialen Kunsttherapie sehr hilfreich. Ich werde untersuchen, wie diese Erkenntnisse meine kunsttherapeutische Arbeit unterstützen und bereichern können.

Fragen sind:

  • Welche Formen der Bindungsstörung gibt es?

  • Welche therapeutischen Behandlungsmethoden sind besonders geeignet für bindungsgestörte Kinder?

  • Was ist das Spezifische an der inetrmedialen Kunsttherapie mit einem bindungsgestörten Kind?

  • Wie wird die Bindungsstörung von den Bezugspersonen und dem Umfeld behandelt und verstanden?

  • Wie wird die Zusammenarbeit zwischen mir und dem bindungsgestörten Kind verstanden und behandelt?

  • Müssen das Umfeld bzw. die Bezugspersonen in den therapeutischen Prozess mit einbezogen werden, damit Verständnis entsteht für diese therapeutische Intervention und ggf. dessen Auswirkungen?

  • Kann ich in meinem Fallbeispiel eine verbesserte Integrierung des Kindes in das Umfeld erkennen?

  • Welche Rolle spielt die Beziehungsebene?

  • Wie und Wann lernt man Bindung?

  • Wie fühlt sich die adäquate Nähe und Distanz zu sich und zu anderen an, wenn das Kind dieses Verhältnis nie erfahren hat und die eigenen Grenzen ständig überschritten wurden?

 

 

  1. Das Material

Für die Erstellung dieser Arbeit wird umfangreiche wissenschaftliche Literatur zum Thema Bindungsstörung verwendet. Auch zu den Themen Kunsttherapie und Psychologie wird recherchiert werden. Eigene Erfahrungen aus der Kunsttherapie werden das Material ergänzen. Durch die Fallbeispiele eines bindungsgestörten Mädchens und eines bindungsgestörten Jungen aus der Heimerziehung werde ich durch eine phänomenologische Betrachtungsweise eigene Interpretationen und Schlüsse ziehen können.

 

 

  1. Die Methode: Qualitative Aktionsforschung durch phänomenologische Betrachtungsweise

In der qualitativen Aktionsforschung wird ein bindungsgestörtes Mädchen in der Kunsttherapie begleitet. Durch eine phänomenologische Betrachtungsweise wird das Spezifische an der Kunsttherapie mit einem Mädchen und einem Jungen beobachtet, analysiert und interpretiert.

 

Der theoretische Teil dieser Arbeit befasst sich mit dem Verhalten bindungsgestörter Menschen und den Unterschieden dieser Erkrankung. Mein Fokus wird hierbei auf den erkrankten Kindern und Jugendlichen liegen. Auch die Psyche des Menschen und seine Grundbedürfnisse werde ich theoretisch untersuchen.

 

 

Ein Mädchen mit einer Bindungsstörung wird über einen Zeitraum von vier Monaten begleitet und anschließend phänomenologisch betrachtet. Auch ein Fallbeispiel mit einem bindungsgestörten Jungen wird im Zusammenhang mit kunsttherapeutischen Methoden in dieser Arbeit zum Tragen kommen. Die Kinder werden durch selbst gemalte Bilder und geschaffene Werke eine bestimmte Entwicklung zeigen können. Fotos und dokumentierte Erzählungen der beiden werden in Bezug zu der Theorie über Bindungsstörung gesetzt, sodass ich hierbei mehrere Anhaltspunkte verbinden und auf unterschiedliche relevante Punkte zurückgreifen kann. Die zu Grunde liegenden Daten werden resümiert und das Spezifische der Kunsttherapie in der Arbeit mit bindungsgestörten Kindern und Jugendlichen wird herausgearbeitet.

Der Aufbau dieser Arbeit

Im theoretischen Teil dieser Arbeit wird es zunächst um die Sicherheit bietenden Bindungsbeziehungen für die Hirnentwicklung gehen. Auch die Typologie der Bindungsstörung, die Diagnostik, die Prävalenz und der Geschlechtervergleich werden als Basis erläutert.

 

Anschließend wird auf die Symptomatik und die Verhaltensbeschreibung bei bindungsgestörten Kindern ein Schwerpunkt gelegt. Hierbei werden die unterschiedlichen Klassifikationen genau beschrieben.

 

Im dritten Teil der Arbeit, nach den theoretischen Grundlagen, wird auf das Spezifische der Heimkinder mit Bindungsstörung eingegangen.

 

Der vierte Teil dieser Arbeit hat viel Platz eingenommen, weil ich bei der Suche nach dem Spezifischen in der intermedialen Kunsttherapie in Bezug zu bindungsgestörten Kindern und Jugendlichen auf Methoden, Raum, Wahrnehmung und Interdisziplinarität zurückgegriffen habe. Die Themen, die für mich Bestandteil der intermedialen Kunsttherapie sind, haben in Bezug zur Bindungsstörung wichtige Aussagen. In diesem Teil werde ich auch an einem Fallbeispiel mit einem Jungen die Herangehensweisen und Methoden der intermedialen Kunsttherapie phänomenologisch betrachten.

 

Im fünften Teil werde ich meine Hypothesen aufstellen.

 

In dem sechsten Teil der Arbeit wird genau auf ein Mädchen aus einer Familiengruppe eingegangen. Hier kommen Faktoren zum Tragen, die großen Einfluss auf das bisherige Bindungsverhalten haben. Weitere Hürden wie Trennung und Verlust, Umgebungswechsel und Bezugspersonen werden hier auf der Basis von mir zu Händen gereichten Fakten, Erzählungen und Biografien beschrieben. Dieses Fallbeispiel wird über mehrere Therapiestunden phänomenologisch betrachtet.

In dem siebten Teil werde ich auf die Forschungsfrage und die Hypothesen, unter einschließender Bezugnahme auf die Fallbeispiele, zurückblicken. Hierbei sollen die spezifischen Wirkfaktoren analysiert werden.

 

 

Die Arbeit soll auf die Bedeutsamkeit der kunsttherapeutischen Behandlung zur Vorbeugung und Anerkennung der Bindungsstörung hinweisen und das Spezifische in der Kunsttherapie mit dieser Erkrankung als eine der besten und wirkungsvollen Heilungsvarianten in der Aktionsforschung dokumentieren.

Bindungsstörungen in der Historie

Freud stellte zunächst bei seinen Forschungen unter anderem das Thema sexuelle Gewalt an Kindern von Seiten der Bezugspersonen und Eltern in den Vordergrund.

Allerdings wird vermutet, dass die Gesellschaft zu jener Zeit die Augen vor solchen Themen verschließen wollte und er um seine Anerkennung fürchten musste. Deshalb zog er seine Behauptungen vermutlich zurück. Auch der Schweizer Psychiater Adolf Meyer (1957) stellte Theorien zum Thema Realtrauma auf.

Er schieb den frühkindlichen traumatischen Umwelteinflüssen eine große Bedeutung zu  in Bezug auf die Überforderung, der Anpassung und daraus folgenden Krankheitssymptomen.

 

Auch der Londoner Psychiater John Bowlby erkannte bei seinen Studien über frühkindliche Traumatisierungen, dass diese einen erheblichen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung haben.

Im Rahmen einer Ursachenforschung machte er die Entdeckung, dass Trennung und Verlust von Bezugspersonen eine Hauptursache für daraus folgende Anpassungs- und Persönlichkeitsprobleme ist.

Aus diesem Wissen entstanden die ersten Bindungstheorien. Mary Ainsworth und weitere Schüler Bowlbys verbreiteten dieses Wissen auch außerhalb von London. In Deutschland hat das Ehepaar Grossmann mit zahlreichen prospektiven Längsschnittstudien die Bindungstheorien verbreitet. Ein Schwerpunkt lag beispielsweise an der Übertragung von Bindungsstörungen der Eltern auf ihre Kinder. Diese geniale DVD kann ich nur empfehlen.

 

Bowlby, dem persönlich auch der innige Kontakt zu Mutter und Vater verwehrt blieb, beschrieb das Bindungssystem als ein primäres, genetisch verankertes motivationales System. Hierbei wird beschrieben, dass das Hormon Oxytocin ein wesentlicher Bestandteil zur Förderung des bonding, also der Kontaktaufnahme von der Mutter mit ihrem Säugling, ist, u.a. für die Wehen, den Milcheinschuss und das Gefühl zwischen Mutter und Kind, einander ganz nahe sein wollen.

Das Kind ist von Geburt an in der Lage, seine Gefühle nach Nähe auszudrücken, zunächst mit Blickkontakt und später durch Nachfolgen und körperlichen Kontakt, der von ihm besonders in Angstsituationen ausgeht. Karl Heinz Brisch beschreibt auch in seinem Buch „Bindungsstörungen“ (1999/2009) die Feinfühligkeit der Mutter, die eine instinktive und besonders wichtige Fähigkeit sowie größte Voraussetzung für ein gesundes Bindungsverhalten ist.

Bindungsstörungen

Es gibt vier Bindungsqualitäten, die zu unterscheiden sind.

 

  • Sicher gebunden“- die Kinder suchen und rufen nach der Mutter bei einer Trennung, aber lassen sich trösten und können anschließend weiterspielen.

 

  • Unsicher vermeidend gebunden“- die Kinder zeigen keine Emotionalität bei einer Trennung von der Mutter. Bei der Wiedervereinigung reagieren sie oft mit Ablehnung und vermeiden Körperkontakt.

 

  • Unsicher-ambivalent gebunden“ – die Kinder protestieren bei einer Trennung von der Mutter lautstark und lassen sich bei der Wiederkehr nicht beruhigen. Sie drücken einerseits den Wunsch nach Nähe aus, aber verhalten sich aggressiv, indem sie strampeln, treten oder toben.

 

  • Unsicher-desorganisiert gebunden“ – die Kinder haben zwar ein Bindungssystem, es lässt sich denjenigen weiter oben aber nicht einheitlich zuordnen, weil es sich nicht in ausreichend konstanten und eindeutigen Bindungsstrategien äußert. Bewegungsabläufe werden unterbrochen oder scheinbar eingefroren. Da diese Kinder einen sehr hohen Stressfaktor haben, werden sie dem unsicher-gebundenen Muster zugeordnet. Das jeweilige Bindungsmuster ist durch zwei Faktoren zu erklären. Zum einen haben die genetischen Eigenschaften des Kindes und das Temperament einen Einfluss, besonders im ersten Lebensjahr, und zum anderen spielt die Feinfühligkeit der Mutter  der Bezugsperson  eine erhebliche Rolle. Schon während der Schwangerschaft können äußere Stressoren und Ängste der Mutter zu einer Irritabilität des Säuglings und einer verminderten Fähigkeit zur Verhaltenssteuerung führen, was sich später bei diesen Kindern durch Regulationsstörungen zeigen kann. (Brisch, 2017, 55, nach Wurmser, 2007) Es wird vermutet, dass ein ungelöstes Trauma der Bezugsperson oder des Kindes selbst zu entsprechenden Störungen in der Beziehung und der Interaktion zwischen ihnen führt (Brisch, 2017, 56, nach Schuengel et al., 1999a, b; van IJzendoorn et al., 1999; Bokhorst et al., 2003).

 

Eine Wiederholung von traumatischen Erlebnissen könnte zu einer Bindungsstörung führen. Besonders anfällig sind Säuglinge mit genetischen Veränderungen im Dopamin-Regulationssystem, weil diese inkohärenten neuronalen Muster von den ängstlichen und ängstigenden Bezugspersonen noch verstärkt oder fixiert werden könnten (Brisch, 2017, 56). Die darauffolgenden kindlichen Verhaltensweisen haben auf der Symptomebene Ähnlichkeiten mit der Aufmerksamkeits-Hyperaktivitäts-Störung und drücken sich bei kleinen Kindern häufig mit aggressivem Verhalten aus. Für Vorschulkinder und Schulkinder könnte ein desorganisiertes Verhaltensmuster im Kleinkindesalter und bei Säuglingen also schon ein Vorläufer für die ADHS-Symptomatik sein. (Brisch, 2017, 56) Sowohl bei der Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung als auch bei dem psychopathologischen Muster der desorganisierten Bindung sind Übereinstimmungen ähnlicher Polymorphismen in den Genen für Dopamin-Rezeptoren gefunden worden (Brisch, 2017, 57). Diese Überlappung hätte auch Einfluss in der therapeutischen Arbeit. Anders als bei einer Diagnose für ADHS würde bei einer Diagnose für eine desorganisierte Bindung eine traumazentrierte Therapie einschließlich der Eltern/Bezugspersonen erfolgen, um die transgenerationale Weitergabe auflösen zu können (Brisch, 2017, 58).

 

Ein weiterer genetischer Einfluss auf die Bindungsentwicklung könnte DRD4 sein.

Die Studien von Gervai (2008) zeigen, dass spezifische Polymorphismen des D4-Dopamin-Rezeptor-Gens eher mit einer desorganisierten Bindung des Kindes in Zusammenhang stehen (Brisch, 2017, 55). Viele Forschungen weisen also auf eine mögliche Gen-Umwelt-Interaktion hin, jedoch gibt es keine Studie, die belegt, dass Kinder mit diesen Genen zwangsläufig ein desorganisiertes Bindungsverhalten haben.

 

Ein überaus greifender Zusammenhang ist hingegen die Bindungsqualität des Kindes und die Verhaltensweisen der Eltern in Bezug auf ihre Feinfühligkeit. Die Kinder, deren nonverbale Signale und Affektzustände auf Grund der Empathie und der Feinfühligkeit der Mutter wahrgenommen und von ihr übersetzt wurden, sind meistens sehr sicher gebunden. Die Kinder, deren Mütter kaum oder gar nicht mit ihnen in Interaktion treten oder diese falsch interpretieren sind meistens unsicher gebunden (Brisch, 2017, 85). Besonders förderlich ist es also, auf die Melodie die Sprache, den Tonfall, die Lautstärke und den Rhythmus zu achten und den äußeren sowie den inneren Zustand des Säuglings widerzuspiegeln. Aber auch Missverständnisse in der Interaktion sind förderlich, wenn diese von beiden Seiten wahrgenommen und aufgeklärt werden können.

 

Ein besonders hoher Faktor, mit bis zu ca. 80% der Kinder mit desorganisiertem Verhaltensmuster, entsteht mit Traumatisierungen durch eine Vernachlässigung, Misshandlung, oder Missbrauch (Brisch, 2017, 59).

 

Aber auch eine Übertragung von der traumatisierten Mutter auf das Kind kann eine große Rolle spielen, da Kinder von Müttern, die selbst sexuell missbraucht oder misshandelt wurden und diese Erfahrung nicht verarbeitet haben, ähnlich ängstliche Sequenzen in ihrem Bindungsverhalten zeigen (Brisch, 2017, 60, nach Lyons-Ruth et al., 1991; 1993; 1999; Main & Solomon, 1986; Solomon & George, 1999a).

 

 

Eltern, die durch äußere Umstände wie Armut, Gewalt, und schlechte Wohnverhältnisse erschwerte Lebensbedingungen haben, fielen durch ein feindliches und hilfloses Verhalten gegenüber ihren Kindern auf, was deshalb zu vermehrtem unsicher-desorganisiertem Bindungsmuster der Kinder führt (Brisch, 2017, 60, nach Lyons-Ruth & Jacobivitz, 1999).

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Bei allen Bindungsstörungen ist davon auszugehen, dass die Grundbedürfnisse nach Nähe und Schutz nicht ausreichend oder widersprüchlich beantwortet worden sind. Diese Problematik kann sich besonders durch Trennungssituationen, wie ein Heimaufenthalt, psychische Erkrankung oder chronische soziale Überlastung der Eltern ausbilden (Brisch, 2017, 61).

 

 

Wie bereits erwähnt spielt auch die Übertragung der Bindungsmuster eine enorme Rolle, da 70% der Fälle Übereinstimmungen in der Bindungsrepräsentation, wie sicher, unsicher-vermeidend oder unsicher-ambivalentes Bindungsmuster der Eltern, zeigt (Brisch, 2017, 68, nach IJzendoorn,1995).

Sicherheit bietende Bindungsbeziehungen für die Hirnentwicklung

Prof. Dr. Gerald Hüther ist Neurobiologe und beschäftigt sich u.a. mit der Hirnentwicklung unter Stress und Angst. Psychosoziale Faktoren prägen das frühkindliche Gehirn und haben erheblichen Einfluss auf die Entwicklung des Gehirns. Die Hirnentwicklung des Kleinkindes ist von der emotionalen und sozialen Kompetenz der erwachsenen Bezugspersonen abhängig.

Die Auswirkungen der Bindungsstörung werden allerdings meist erst dann sichtbar, wenn die heranwachsenden Kinder Gelegenheit bekommen, ihre emotionale, soziale und intellektuelle Kompetenz unter Beweis zu stellen, zum Beispiel in der Schule. Nie wieder im späteren Leben ist das Gehirn/der Mensch so offen für neue Erfahrungen, so neugierig, so begeisterungsfähig, lerneifrig und kreativ wie während der Phase der frühen Kindheit.

Aber alle Formen der Bindungsstörung, jede Form der frühen kindlichen Deprivation, lassen diesen Schatz verkümmern. Die natürlich gegebene Wissbegierde, die Freude am Entdecken geht dem bindungsgestörten Kind schon früh verloren. (Hüther & Gebauer „Kinder brauchen Vertrauen: Entwicklung fördern durch starke Beziehung“, 2014).

Ob und wie es einem Kind gelingt, seine Anlagen zu entfalten, hängt ganz wesentlich von den Entwicklungsbedingungen ab, die es bei seiner Geburt vorfindet und von den Erfahrungen, die es in frühster Kindheit macht. Auf jeden Fall führt jede Form der Bindungsstörung zu einer Einschränkung der Möglichkeiten, die im Gehirn angelegten Verschaltungen auszubauen, weiterzuentwickeln und zu festigen.

 

Jedes Kind braucht das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, um neue Situationen und Erlebnisse nicht als Bedrohung, sondern als Herausforderung verstehen zu können. Fehlt die Sicherheit, die eine intensive Beziehung zwischen Mutter/Vater/Bezugsperson und Kind ausmacht, kann das Kind keine positiven Erfahrungen machen, die im kindlichen Hirn verankert und die seine weitere Entwicklung, aber auch sein Fühlen, Denken und Handeln zukünftig lenken werden.

Die Diagnostik der Bindungsstörung

Die Diagnostik der Bindungsstörung

Am Anfang einer Diagnose und auch währenddessen, steht die Kunst des Zuhörens. Da können wir uns ein Beispiel an Michael Endes Roman „Momo“ (1973) nehmen, bei dem sich jeder einzigartig und wertvoll gefühlt hat. Momo hat ihrem Gegenüber zugehört, erkannt und nicht insistiert.. Im Gegensatz zu den vielen Fragen und Fragebögen, die eine Diagnose nun mal mit sich bringt, sollten wir diese Feinhörigkeit doch nie außer Acht lassen. Eingefahrene Muster oder bisher gewonnene Eindrücke müssen veränderbar bleiben oder in eine neue Richtung gehen dürfen, um sich nicht festzufahren. „Absichtsloses“ Zuhören ist da ein „Türöffner“, wo es Türen zu öffnen gibt.

Für eine Anamnese werden in der Regel Fragebögen verwandt, die standardisiert sind, wenn schon eine konkrete Fragestellung besteht.

 

Es gibt aber auch halbstandardisierte Fragebögen, die offener gehalten sind, um eine größere Bandbreite von Informationen zuzulassen. Wichtig ist der Abgleich zwischen der Eigenanamnese und der Fremdanamnese des Klienten  gibt es Übereinstimmungen oder in welchen Punkten gibt es Abweichungen. Durch Hypothesen in der Fragestellung kann schon gezielt in eine Richtung beeinflusst werden, deshalb ist es wichtig, die Macht der Fragen zu kennen und zu berücksichtigen.

Ein möglicher diagnostischer Weg in Bezug auf eine Bindungsstörung wäre, zunächst herauszufinden, wie die Feinfühligkeit der Eltern-Kind-Interaktion ist. Die Diagnostik der elterlichen Feinfühligkeit nach der Skala von Ainsworth (2003) ist eine qualitative Untersuchung, die aber mikroanalytisch ergänzt werden kann. Wenn es eine Störung der Eltern-Kind-Interaktion gibt, ist dies der Vorläufer einer Bindungsstörung.

 

Auch sprachliche Intelligenz und logisches Denken sollten berücksichtigt werden, das Verarbeitungsvermögen, die Aufmerksamkeit, aber auch die Genetik und Biografie sowie physische Aspekte, im Sinne der Neurobiologie zum Beispiel das Abklären des Hormonhaushaltes. In dem diagnostischen Verfahren sollten alle möglichen Ursachen als Auslöser eines Krankheitsbildes Berücksichtigung finden, um falsche Schlüsse und Diagnosen zu vermeiden, die eine hilfreiche therapeutische Intervention verhindern würden.

 

Wichtig ist es, gerade bei Kindern zu schauen, welche emotionale Entwicklung sie haben und ob sie sich selbst gut wahrnehmen können. Gerade bei traumatisierten Kindern gehen die Selbst- und Fremdwahrnehmung häufig weit auseinander.

Eine Diagnose ermöglicht dem Klienten und seiner Umwelt zu verstehen, was da innerpsychisch passiert, und bringt durch diese Erkenntnis schon die erste Entlastung. Im Kontext der Entstehung des „Problems“ ist die bis dahin als abweichendes Verhalten bezeichnete Reaktion des Körpers nun deutlich als Schutzmechanismus in der Folge eines Traumas zu erkennen. Man kann den Rucksack mit seinen schlechten Erlebnissen nicht ausleeren, jedoch erkennen, dass es einen Rucksack gibt und die drückenden Steine nach und nach in der Therapie anschauen und so wieder hineinlegen, dass sie nicht mehr so sehr drücken. Wichtig ist es, bei einer Diagnose nicht voreingenommen zu sein und zu schnelle Schlüsse zu ziehen (kein Ehrgeiz oder Erfolgsdruck, das offene Schauen und Gewahr sein des „Dritten“ sind gute Begleiter).

Auch das Erzählen und interpretieren von Bildern und Märchen kann bei der Diagnose einer Bindungsstörung hilfreich sein. Hier können wir sehen, wie der Klient sich fühlt, woran er denkt oder wie er sich in Bezug auf andere wahrnimmt. Allerdings muss auch hier darauf geachtet werden, dass es keine vorgeschriebenen Bedeutungen geben sollte, da es unterschiedliche Gründe für ein und dieselbe Farbe geben kann und die Bedeutung der Farbe somit auch immer im Auge des Betrachters liegt. Jedoch ermöglicht sie uns schon, Fragen in eine bestimmte Richtung zu leiten. Annahmen und Feststellungen sollten aber wie gesagt immer wieder überprüft und neu hinterfragt werden.

 

Die Phänomenologie (s. auch Dr. med. Luise Reddemann, „Psychodynamisch imaginative Traumatherapie“, 2004) ist gerade bei traumatisierten Kindern ein wichtiges und nicht zu unterschätzendes Diagnoseinstrument.

Um ein erstes Bild des Bindungsmusters zu bekommen, ist es sinnvoll, andere Kinder im Umfeld, Geschwister, Eltern oder Lehrer zu dem Klienten zu befragen. Fragebögen sind ebenfalls sehr sinnvoll. Neurologische pädiatrische Untersuchungen helfen, das Bild zu erweitern, Ausschlüsse machen zu können oder Anzeichen konkreter zu machen.

Psychische Untersuchungen können durch die Beobachtung des Klienten (Kind) beim freien Spiel im Raum gemacht werden. Sein Verhalten anderen und Bezugspersonen gegenüber sollte beobachtet werden und durch Nachfragen auch die Selbstbeobachtung analysiert und die Selbsteinschätzung wahrgenommen werden. 

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In einer Therapiestunde mit einem Kind könnte mit einer lockeren Übung begonnen werden, in der es ein genaueres Bild vermittelt, wie es ihm geht und was es beschäftigt. Mit einer Feinhörigkeit sollte vor und nach dem Malen auf die Befindlichkeit eingegangen werden. Bei einer stabil wirkenden Situation können die Tests und Fragen bei Erwachsenen folgen. Bei Kindern ist besonders darauf zu achten, dass sie sich nicht ausgefragt fühlen, sondern eine spielerische und lockere Atmosphäre herrscht.

Hilfreich sind hier erfundene kreative, das Problem anreißende Märchen oder Bilder, aber auch Kreativität, die die Kinder mitbringen, um die eigenen Themen zu erkennen. Sie können beispielsweise ihre Familie als Tiere darstellen, wobei hier auf Nähe und Distanz geachtet werden sollte und warum welches Tier gewählt wurde. Hilfreich und für mich erstaunlich ergiebig war das Erlebnis zu der Frage, was die gemalten Tiere in ihrer Situation tun würden, um das Problem zu lösen, und welche Fähigkeiten diese (stellvertretend) mitbringen.

Grundsätzlich sollte sich die Diagnosestellung auf einen längeren Zeitraum von mindestens sechs Monaten beziehen, da die Veränderungen des Beziehungsverhaltens als stabiles Muster festzustellen sind (Sameroff & Emde, 1989; Zeanah & Emde, 1994). Es wird nach unterschiedlichen Verhaltensmustern gegenüber der Beziehungspersonen diagnostiziert. Diese Diagnosen können vom Kleinkindalter bis hin zum Jugendalter angewendet werden (Brisch et al., 1999). Störungen der Feinfühligkeit und der Interaktion sind Vorläufer von Bindungsstörungen (Brisch, 2017, 112, nach Lyons-Ruth et al., 2002). Die Feststellung einer nicht intakten Feinfühligkeit zwischen Mutter und Kind kann durch Videoaufzeichnungen und Mikroanalysen qualifiziert untersucht werden.

 

Bei der Einschätzung der Bindungsqualität bei Kleinstkindern wird ab dem 12. Lebensmonat eine „strange situation“ (Ainsworth & Wittig) durchgeführt: Diese „fremde Situation“ hat acht Episoden, die jeweils drei Minuten dauern können. Die Mutter und das Kind befinden sich in dem gleichen Raum, ähnlich wie ein Wartezimmer mit Spielzeug. Eine fremde Person kommt dazu und die Mutter verlässt den Raum. Bei dieser Situation wird besonders auf die Reaktion des Kindes geachtet, während die Mutter den Raum verlässt und während sie wieder hereinkommt. Um letztendlich eine Diagnose stellen zu können, muss das Kind über einen längeren Zeitraum im Verhalten beobachtet werden. Die Anamnese ist sehr umfangreich, da die Art, die Dauer, der Beginn, die Ausprägung, die Variationen, die Kontextbedingungen des Verhaltens und frühere Traumatisierungen berücksichtigt werden müssen. Auch eine kinderärztliche Untersuchung muss erfolgen, um körperliche Ursachen, wie zum Beispiel eine neurologische Behinderung oder eine Stoffwechselstörung, ausschließen zu können. Die Diagnose Bindungsstörung ist klinisch, da es kein spezifisches Test-Instrument zur Messung gibt. Allerdings kann die „strange situation“ helfen, die klinischen Auffälligkeiten zu validieren (Brisch, 2017, 113).

 

Fragebogeninstrumente werden oft in Kombination mit Interviews oder anderen bindungsuntersuchenden Maßnahmen verwendet. Ein Fragebogen für das Kindesalter wurde von Brisch (2002a) entwickelt, wobei zusätzlich die Entwicklung von Screening-Fragebögen im Kindesalter sehr hilfreich sein könnte. Auch für das Kindergartenalter wurde eine modifizierte „fremde Situation“ von Marvin & Brittner (1995) entwickelt. Es wird das Trennungsverhalten zwischen Mutter oder Vater und Kind und das Verhalten bei der Wiedervereinigung beobachtet. Die Bindungsmuster können hierbei folgendermaßen unterschieden werden: sicher, unsicher-vermeidend, unsicher-amivalent sowie verschiedene pathologische Muster, wozu auch desorganisierte und zwanghaft-kontrollierte Bindungsmuster gehören. Für das Kindergartenalter bis zum Ende des Grundschulalters wird das Puppenspiel durch Videoaufzeichnungen und Transkriptionen analysiert. Die Kinder sollen das Spiel in bindungsrelevanten Situationen ergänzen und die Geschichten weiterführen.

 

Bei Kindern mit Autismus gibt es bei den Untersuchungsmethoden viele Übereinstimmungen, z. B. in der Vermeidung des Blickkontakts bei der Wiedervereinigung mit der Bezugsperson, allerdings zeigen sie in der Regel keinen Trennungsprotest. Deshalb braucht es bei der Unterscheidung von autistisch veranlagten und bindungsauffälligen Kindern einen klinisch sehr erfahrenen Untersucher.

 

 

Sollte eine Bindungsstörung durch eine Traumatisierung der Bezugsperson erfolgt sein, müsste ein „Adult Attachment Projective Test“ (AAP) von George, West und Pettem (1999) oder ein Bindungsinterview „Adult Attachment Interview“ (AAI) von Main und Goldwyn (1982) bei der Bezugsperson angewendet werden. Gerade in der Kategorie „ungelöste Traumatisierungen“ werden transgenerationale Übereinstimmungen mit dem desorganisierten Bindungsverhalten des Kindes gefunden. 

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Ich hoffe ihr konntet mir gut folgen bis hierher, wenn ihr mehr Erfahren möchtet könnt ihr euch hier meine gesamte Arbeit holen.

 

(c) E.H Wampel.net

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Kommentare: 3
  • #1

    Michaela (Montag, 14 Oktober 2019 11:59)

    Hallo Wampel,

    Dankeschön für die tolle Vorstellung, das Buch brauche ich unbedingt;) ist gekauft.

    Vlg

    Michaela

  • #2

    Loreen (Dienstag, 22 Oktober 2019 21:42)

    Hallo Frau Hofmeister,
    Sie sind vom Fach, wirklich sehr interessant. Dankeschön.

  • #3

    Bettina (Freitag, 18 Dezember 2020 16:35)

    Hallo Wampel, ich würde als Malbegleiterin gerne wissen, was die Ziele für die Bildgestaltung in der Diagnostik, Therapie und Handlungsveränderung sein könnten.